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Die zweite Wurzelspitzenresektion (=WSR) – „Salami-Taktik“ oder eine echte zweite Chance?

Eine genaue Analyse der Ursachen ist notwendig.

Keine Chance auf Zahnerhalt nach Fortbestehen einer Infektion bzw. bei Ausbleiben der Heilung nach WSR gibt es

  • bei Wurzellängsfrakturen
  • bei fast vollständigem Verlust des Zahnhalteapparates
  • bei kariöser Zerstörung der Zahnsubstanz
  • wenn das Kürzen der Wurzel grob fehlerhaft die Wurzel zerstört hat, z.B. durch zu starkes Anschrägen oder durch übermäßiges Kürzen.

Gute Chancen auf Zahnerhalt trotz ausbleibenden Erfolges einer WSR ohne Operationsmikroskop bestehen, wenn technische Fehler erkannt und behoben werden können, z.B., wenn bei der ersten WSR

  • die Wurzelspitze nicht vollständig oder nicht sauber abgetrennt wurde
  • ein Wurzelkanal oder mehrere Wurzelkanäle nicht gefunden wurde/n (häufig)
  • die Präparation der Abdichtung nicht alle Unregelmäßigkeiten im Wurzelkanalprofil mit einbezogen hatte (häufig)
  • keine Abdichtung am Kanalende versucht wurde (sehr häufig)
  • eine unvollständige Abdichtung am Kanalende erfolgte (häufig)

Eine konventionelle Zweit-Wurzelspitzenresektion lässt in nur 30 bis 40% einen Erfolg erwarten, wie folgende Studie zeigt:

Peterson J1, Gutmann JL.: The outcome of endodontic resurgery: a systematic review.
Int Endod J. 2001 Apr;34(3):169-75.

Kostenlose Zusammenfassung hier: https://www.ncbi.nlm.nih.gov

Eine Zweitresektion mit OP-Mikroskop und allen fortschrittlichen Techniken erreicht in einer sehr sorgfältig angelegten Studie 92% Erfolg, schneidet also sogar viel besser ab als unter einfachen Bedingungen die Erst-Wurzelspitzenresektion:

Song M1, Shin SJ, Kim E.: Outcomes of endodontic micro-resurgery: a prospective clinical study.
J Endod. 2011 Mar;37(3):316-20.

Kostenlose Zusammenfassung hier: https://www.ncbi.nlm.nih.gov

Die häufigsten Gründe für das Scheitern der ersten Wurzelspitzenresektion waren in dieser Untersuchung das Fehlen einer retrograden Wurzelfüllung und eine inkorrekte Präparation an der Resektionsstelle.

Aufschlussreich ist auch die folgende sehr sorgfältig angelegte Untersuchung: Es werden insgesamt 571 Wurzelspitzenresektionen als Ersteingriff (5-Jahres-Erfolgsrate 91,6%) und als Zweiteingriff (5-Jahres-Erfolgsrate 87,6%) an gleichartigen Zähnen gegenübergestellt. Alle Eingriffe wurden mit OP-Mikroskop von hochqualifizierten Behandlern mit mikrochirurgischem Instrumentarium durchgeführt. Die sonst so häufigen diagnostischen und technischen Mängel konnten als Ursache für Misserfolge bei der WSR somit weitgehend ausgeschlossen werden. Den größten Einfluss auf die Erfolgsrate hat danach unter den beschriebenen Optimalbedingungen der Zahntyp, weil die kompliziertere Anatomie für die mehrwurzeligen Backenzähne ein höheres Misserfolgsrisiko beinhaltet:

 Kim D1, Kim S1, Song M2, Kang DR3, Kohli MR4, Kim E5: Outcome of Endodontic Micro-resurgery: A Retrospective Study Based on Propensity Score-matched Survival Analysis. J Endod. 2018 Nov;44(11):1632-1640

Kostenlose Zusammenfassung hier: https://www.ncbi.nlm.nih.gov/pubmed/30243664

Fallbeispiel Zweit-WSR

Patientin M.G., 73 Jahre

Zustand 27 Jahre nach Sanierung u.a. mit Lappen-OP bei weit fortgeschrittener Parodontitis, 27 Jahre funktioniert dieser Zahnersatz.

Seitdem Prophylaxe 3x jährlich, allgemein stabiler Zustand. Die Lippen verdecken die langen Zahnhälse.


Zahn 23:
Zustand 15 Jahre nach 1. WSR,
6 Jahre nach 2. WSR,
jetzt wieder Schmerzen an Zahn 23


klinisches Bild im Dezember 2017 mit 26 Jahre alten Kronen

 

 
Röntgenbild mit Zahn 23 Dezember 2017.


Sehr kurze Restwurzel, solider Stiftaufbau, dichte, korrekte Krone, umfangreicher Knochenverlust als Zeichen erneut entstandener Infektion (rote Pfeile). Die retrograde Wurzelfüllung ist erkennbar undicht (Orangener Pfeil).

Die Entfernung des äußerst stabilen Stiftaufbaues erscheint wenig ratsam. Problematisch ist die geringe Restlänge unterhalb des Stiftes, die die maximal mögliche Dicke der neuen retrograden Füllung auf etwa 1,5 mm begrenzt, während die Wissenschaft zur sicheren Abdichtung mindestens 3 mm Füllungsstärke fordert.  Obwohl auch die Restlänge des Zahns bedenklich kurz ist, so ermutigt zum Erhaltungsversuch mittels Dritt-WSR doch Folgendes:

  • die Gewissenhaftigkeit der Patientin und der stabile Zustand im Gesamtgebiss
  • die immer noch gute Qualität aller Kronen
  • die erfolgreiche Prophylaxe mit
  • langjährige Kariesfreiheit
  • langjährige parodontaler Gesundheit trotz ungünstigen Ausgangsbefundes
  • der Verlust der Verankerung des Zahnersatzes am Geschiebe würde das Kauvermögen deutlich verschlechtern

 
Nach der chirurgischen Freilegung und mühelosem Entfernen der undichten Füllung wurde die Wurzel nicht gekürzt, sondern nur poliert. Die Ursache des Misserfolgs ist deutlich: Die kontaminierte Guttapercha der ersten Wurzelfüllung reicht bis zum Rand, hätte dort aber bei der Präparation vollständig entfernt werden müssen, um eine Abdichtung zu erzielen.


Nach behutsamer Reinigung und Säuberung der Präparationsränder kann die neue retrograde Füllung angebracht werden. Man beachte die gute Blutstillung - eine Grundlage für sauberer Arbeit.

 
Die neue retrograde Wurzelfüllung aus dem bioaktiven und knochenfreundlichen Zement MTA wurde besonders gründlich mit Ultraschall verdichtet, um den Mangel an Schichtdicke zu kompensieren. (Grüner Pfeil)

 
Nahtverschluss mit haarfeinen atraumatischen monofilen (=keimabweisenden) Nähten der Stärke 6-0 (blau) und einer (schwarzen) Naht Stärke 5-0. Die Patientin hat die Wunde geschont, sauber gehalten und außen mit Eis gekühlt, um eine Schwellung zu vermeiden. Schmerzmittel war nach der OP verfügbar, aber nicht erforderlich.

 
Röntgenkontrolle unmittelbar nach WSR mit der neuen MTA-Füllung (grüner Pfeil).


Fünf Monate nach WSR erfolgte die erste Röntgenkontrolle: Die retrograde Füllung ist unverändert (Grüner Pfeil). Der Knochendefekt ist vollständig mit neuem Knochen ausgeheilt (zwischen den hellgrünen Pfeilen).


Fünf Monate nach Behandlung bot sich dieses klinische Bild: Die Kronen sind unverändert. Eine Narbe ist nicht sichtbar. Die Zahnfleischsäume sind im Vergleich zum Zustand vor WSR auf identischer Höhe und in identischer Form. Es gibt keine krankhaften Zahnfleischtaschen. Schmerzen traten nicht mehr auf. Der Zahnersatz funktioniert unverändert weiter.

Siehe auch "Ablauf der Wurzelspitzenresektion"