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Häufige Fragen - "Zahn offen lassen oder verschließen?"

Warum wird ein entzündeter Zahn aufgebohrt?

Eine Zugangsöffnung zum Wurzelkanalsystem ist der vierte Schritt einer Wurzelbehandlung - siehe
Ablauf der Wurzelbehandlung

Vor der Eröffnung des Zahnes ist zwingend Kofferdam anzulegen, damit die ca. 1.000 Keimarten der Mundhöhle nicht anschließend in den Zahn und später in den Organismus eindringen.

Entwickelt sich unter einem infizierten Wurzelkanal eine eitrige Entzündung, entsteht Eiter in Frühstadien im Knochen unmittelbar um die Wurzelspitze herum. Der damit verbundene Druck ruft Schmerzen hervor.

Aus einem offenen, durchgängigen Wurzelkanal kann dieser Eiter nach Aufbohren des Zahnes abgesaugt werden. Bei hinreichend hohem Druck kann Eiter auch spontan entweichen.

U.a. aus Zeitgründen oder bei mangelnder endodontologischer Ausbildung kann beim Behandler bzw. bei der Behandlerin der Gedanke aufkommen, "mal eben schnell" ohne jegliche weitere Maßnahmen lediglich den Zahn aufzubohren. Dadurch würden jedoch ausgesprochen wichtige Grundlagen der Endodontologie ignoriert.

Kurzfristiger Vorteil:

Akute Schmerzen lassen schnell nach.

Nachteile des Aufbohrens ohne weitere Maßnahmen:

  • Die 1.000 Keimarten der Mundhöhle dringen ein und die Infektion etabliert sich um so hartnäckiger. Wird ein zuvor offen gelassener Zahn verschlossen, treten trotz sorgfältigster Spülung Schmerzen nicht selten auch für mehrere Tage auf, während ein sofort im ersten Termin dicht verschlossener Zahn sofort oder zumindest wesentlich schneller schmerzfrei wird.
  • Der Zahnerhalt wird viel schwieriger und erfordert hohen zusätzlichen Zeitaufwand und eine besonders ausgefeilte Spültechnik, oft auch zusätzliche Spültermine und somit deutlich höhere Kosten. - Siehe Ablauf der Wurzelbehandlung
  • Die Erfolgsrate verringert sich.
  • Beim hastigen Aufbohren ereignen sich nicht selten unkontrolliert große Substanzverluste oder gar versehentliche Durchbohrungen der Wurzelwand, die einen zusätzlichen Infektionsweg eröffnen und den Zahnerhalt gefährden siehe Revisionen - Perforationsabdichtung Dies verschlechtert die Prognose noch weiter.

Soll ein erhaltungswürdiger Zahn aufgebohrt und offen gelassen werden?

Auf keinen Fall!

Grundregeln der Hygiene und der Chirurgie fordern, Öffnungen, durch die Keime in den Körper gelangen können, zu vermeiden oder sofort unter sterilen Vorkehrungen

  • Kofferdam,
  • Reinigung und Desinfektion des Zahnes,
  • steriles Instrumentarium
  • Hygienisch qualifiziertes Personal
  • Qualitätsmanagement
  • Einhaltung der Richtlinien der Europäischen Endodontologischen Gesellschaft (ESE) und der Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde (siehe unten)

zu schließen. Dies muss für Zähne in gleicher Weise gelten.

In einem offenen Zahn nisten sich vielfältige unerwünschte Keimsorten zusammen mit Speiseresten äußerst hartnäckig ein. Für den Endodontologen sind offene Zähne diejenigen, in denen eine Infektion im Wurzelkanalsystem unter größter Schwierigkeit und höchsten Aufwand zu bekämpfen ist. Die Prognose wird allein dadurch, dass der Zahn offen gelassen wird, deutlich schlechter.

Aus einem Zahn mit sehr guter endodontischer Prognose wird allein dadurch, dass er aufgebohrt und offen gelassen wird, ein Zahn mit einer deutlich schlechteren Prognose.

Wie kann ein Zahn trotz akuter Infektion verschlossen werden, ohne dass Schmerzen nachfolgen?

Die Grundregeln der Wurzelbehandlung sind wie immer mit entsprechender Sorgfalt und Zeitaufwand anzuwenden (Kofferdam, Aufbaufüllung, vollständiges Erkennen und Aufbereiten aller Kanäle in korrekter Länge und desinfizierende Spülung des Kanalsystems, desinfizierende Einlage, keimdichter provisorischer Verschluss).

Fließt aus der Umgebung Eiter oder Entzündungssekret in das Kanalsystem, so ist dies unmittelbar abzusaugen, bis der Fluss versiegt. Dies dauert meist einige Minuten, nie länger als 30 Minuten.

Bei sorgfältigem Vorgehen gelingt es so Endodontologen sehr häufig, Infektionen im Frühstadium zu stoppen, die Entstehung eines Abszesses zu verhindern und den Zahn dauerhaft zu erhalten.

Soll ein nicht erhaltungswürdiger Zahn aufgebohrt und offen gelassen werden?

Bei einem nicht erhaltungswürdigen Zahn kann dies unter Umständen in Betracht kommen

  • bei akuter Entzündung des Zahnmarkes,
  • bei akuter Entzündung des Knochens unter der Wurzelspitze
  • bei einem Abszess

Hier kann das Aufbohren (="Trepanation") des Zahnes einen zusätzlichen Abflussweg für Entzündungssekrete schaffen und so kurzfristig schmerzlindernd wirken.

Ein nicht erhaltungswürdiger Zahn sollte jedoch besser sofort entfernt werden, denn der offene Zahn ist eine unkontrollierbare Eintrittsöffnung für Keime aller Art.

Falls der Zahn nicht sofort entfernt werden kann, so sollte der nicht erhaltungswürdige Zahn aufgebohrt und, falls nicht anders möglich, wenige Tage später entfernt werden.
Denn: Wo zunächst Eiter abfloss, kehrt sich der Prozess sonst um und Keime dringen durch die Öffnung an der Wurzelspitze in den Körper ein. So würde eine erneute Infektion durch den offenen Zahn gefördert.

Warum werden Zähne offen gelassen, obwohl das so eindeutig nachteilig bzw. schädlich ist?

Wurde ein Zahn einmal offen gelassen, wird er in aller Regel mit den üblichen Mitteln der Allgemeinzahnärzte und Chirurgen nicht mehr dauerhaft schmerzfrei. Irgendwann wird der Betroffene Patient der Entfernung zustimmen, wenn er lange genug Schmerzen hatte. Außerdem wurde ihm vielleicht gar kein Weg zum Zahnerhalt gezeigt und als einfache Alternative sogar ein Implantat angeboten. Kurz gesagt: "Jeder erhaltene Zahn steht einem (für den Anbieter) lukrativen Implantat im Weg."

Welche Formen wissenschaftlicher Leitlinien werden verfasst und veröffentlicht?

Die Dachgesellschaft aller zahnmedizinischen und kieferchirurgischen Fachgesellschften ist die DGZMK: Deutsche Gesellschaft für Zahn- Mund- und Kieferheilkunde. Im Konsens aller Fachgesellschaften sammelt und veröffentlicht die DGZMK Leitlinien, sobald alle Fachgesellschaften einen Konsens erzielten. Leitlinien müssen auf einem aktuellen Stand sein. Nach fünf Jahren werden sie daher automatisch ungültig, sofern nicht eine Aktualisierung folgt.

S1 Leitlinien sind minder aussagefähig, weil entweder

a) wenig Erkenntnis vorliegt oder

b) verschiedene Sichtweisen und Interessen der Fachverbände einem Konsens im Weg stehen

S2 Leitlinien haben Empfehlungscharakter mit eingeschränkter Verbindlichkeit. Lücken im wissenschaftlichen Erkenntnisstand bedürfen weiterer Forschung, bevor uneingeschränkte Empfehlungen formuliert werden können.

S3 Leitlinien stützen sich auf sämtliche verfügbare wissenschaftliche Erkenntnisse, auf sämtliche beteiligte Fachgesellschaften, werden ohne Interessenkonflikte in einem (im dazugehörigen umfangreichen Leitlinienreport) dokumentierten transparenten Verfahren auch mit Beteiligung von Patientenvertretern erarbeitet, nachdem jede Fachgesellschaft Gehör fand. Abstimmungsergebnisse und abweichende Meinungen werden mit dokumentiert. Die teilnehmenden Vertreter üben ihre Arbeit unentgeltlich und ohne Aufwandsentschädigung aus.

Nachrangig gegenüber Leitlinien sind die sogenannten Stellungnahmen der DGZMK

Stellungnahmen der DGZMK erfolgten zu relevanten und interessanten Themen. Stellungnahmen sind in der Regel nicht auf aktuellem wissenschaftlichen Stand, wie am Datum der Publikation leicht ablesbar ist. Es fehlen die Ressourcen zur Aktualisierung. Die Mitwirkung ist für alle Beteiligten unentgeltlich und ehrenamtlich.

Was sagt die offizielle Leitlinie der DGZMK, die den Zahnärzten, Oralchirurgen und Kieferchirurgen den richtigen Weg zur Infektionsbekämpfung und zum Zahnerhalt weist?

Die Neufassung der S3 Leitlinie "odontogene Infektionen" wurde von März 2016 bis März 2017 von der zuständigen Leitlinienkommission der obersten zahnmedizinischen Dachgesellschaft DGZMK (Deutsche Gesellschaft für Zahn- Mund- und Kieferheilkunde) mit viel Aufwand im Konsens von 17 Mitglieds-Fachverbänden erarbeitet. Der Aufwand ist gerechtfertigt, weil damit der höchste Rang (S3-Leitlinie) und der höchstmögliche Grad an Verbindlichkeit für alle Behandler festgeschrieben wurde.

Erstmals äußerte sich die Kommission nach langer Diskussion zur Frage des "Offen-lassens" von Zähnen mit folgendem im Konsens aller Verbände beschlossenen Text:

"Im Initialstadium der odontogenen Infektion, der apikalen Parodontitis, ist bei möglichem Zahnerhalt die Wurzelkanalbehandlung im Sinne einer Kausaltherapie das Mittel der Wahl. Für die Durchführung der Wurzelkanalbehandlung wird auf die Richtlinien der European Society of Endodontics (ESE) verwiesen. Ein "Offen-lassen" des betroffenen Zahnes ist zu vermeiden."

Allgemein-Zahnärzte, Oralchirurgen und Kieferchirurgen werden häufig von gutgläubigen Patienten mit entzündeten Zähnen aufgesucht. Diese sollten Patienten mit entzündeten Zähnen zum Endodontologen überweisen, sofern sie nicht selbst über die Kompetenz, die technischen Voraussetzungen und die Zeit für fachgerechte endodontische Behandlungen verfügen.

Am 7. Dezember 2017 trat die Leitlinie mit der Publikation durch die DGZMK in Kraft. Wer künftig von der Leitlinie als Behandler abweicht, muss sich bei Behandlungsmisserfolgen bzw. Problemen dafür rechtfertigen und muss nachvollziehbar darlegen, warum das Abweichen von der Leitlinie erforderlich war und dem Patienten nicht zum Nachteil gereichte.

Gerichte und Gutachter orientieren sich vorrangig an S3-Leitlinien.

Was wird aus einem offen gelassenen Zahn?

Fallbeispiel 1

9-Jähriger Junge. Foto vom Unfalltag. Die Notwendigkeit für sofortige Wurzelbehandlung wurde nicht erkannt.

Röntgenbild zwei Monate später beim späten Beginn des Versuchs einer Wurzelbehandlung.

Etwa 50% der (beim Unfall unbeschädigten) Wurzel sind mottenfraß-
ähnlich zerstört durch eine entzündliche Wurzelresorption. (rote Pfeile).

Der Zahn muss leider entfernt werden.

Entzündlich zerstörter Knochen umgibt den Zahn und den benachbarten zweiten Unfallzahn (orange Pfeile).

Die Resorption hätte nur mit einer sofortigen korrekten Wurzelbehandlung zuverlässig verhindert werden können.

Fallbeispiel 2

11-jähriger Junge. Zwei Jahre nach einfacher Zahnfraktur. 23 Zahnarzttermine bei fünf verschiedenen Zahnärzten ohne endodontologisches Konzept. Der Zahn wurde nie verschlossen. Karies hat den Zahn ausgehöhlt. Eine Längsfraktur entstand, weil keine stabile Füllung angefertigt wurde.

Röntgenbefund: undichte Wurzelfüllung und Karies im gesamten Wurzelkanal. Längsfraktur. Der Zahn muss entfernt werden.

Ein Implantat wird erst 14 Jahre später möglich sein. Auf das ganze Leben gerechnet werden nun rund 15.000 € primär vermeidbare Kosten entstehen für provisorischen Zahnersatz, Implantat, Krone, begleitende chirurgische Eingriffe, Nachbesserungen, Implantatverlust und erneute Implantation usw. usw.

Wie ist die Prognose nach einem Zahnunfall?

Für die hier gezeigten Fälle hätte bei richtiger Behandlung die Langzeitprognose bei etwa 90% Erfolg gelegen - wenn nicht der Zahn offen gelassen worden wäre.

Bei schwerwiegenderen Verletzungen oder ungünstig gelegenen Frakturen kann die Erfolgschance sehr viel kleiner oder (selten) sogar Null sein. Für eine korrekte Diagnose ist in fast allen Fällen DVT hinzuzuziehen. Mehr: Untersuchungen - DVT

Wo finde ich für einen Unfall den richtigen Behandler?

Kofferdam, Mikroskop und gute Ausbildung sind Grundlagen planbarer Behandlungserfolge.

Mehr: Siehe

Häufige Fragen zu Qualifikation / Hygiene

und

Downloads - Wurzelbehandlung
Stern: Artikel vom 23. Juli 2008
Schlechte Qualität bei Wurzelbehandlungen

Wie werden Zahnunfälle korrekt behandelt?

Siehe Wurzelbehandlung - Unfälle